Beim Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit stehst du manchmal vor der Frage, ob du ein Sekundärzitat verwenden darfst. Besonders wenn du in Verzug gerätst und nicht alle Primärquellen beschaffen kannst, ist diese Frage relevant. Hier erfährst du, wann Sekundärzitate akzeptabel sind und wann du besser auf sie verzichten solltest.
Was genau sind Sekundärzitate?
Ein Sekundärzitat liegt vor, wenn du eine Quelle zitierst, die du nicht selbst gelesen hast, sondern die in einem anderen Text (der Sekundärquelle) zitiert wurde. Du zitierst also "aus zweiter Hand".
Beispiel: Du liest in Meiers Buch (2023) ein Zitat von Schmidt (1995). Wenn du nun Schmidts Aussage in deiner Arbeit verwenden möchtest, ohne Schmidts Originaltext gelesen zu haben, handelt es sich um ein Sekundärzitat.
Grundregeln für Sekundärzitate
1. Grundsätzlich: Primärquellen bevorzugen
In der wissenschaftlichen Arbeit gilt generell: Direkte (Primär-)Quellen sind immer vorzuziehen. Dies hat mehrere Gründe:
- Du kannst den Kontext der Aussage selbst beurteilen
- Du vermeidest, mögliche Interpretationsfehler der Sekundärquelle zu übernehmen
- Du stellst sicher, dass das Zitat korrekt und vollständig wiedergegeben wurde
2. Korrekte Kennzeichnung ist Pflicht
Wenn du ein Sekundärzitat verwendest, musst du dies unbedingt transparent machen. Die genaue Form variiert je nach Zitiersystem, folgt aber meist diesem Muster:
Bei deutscher Zitierweise (Fußnoten): Schmidt (1995), zitiert nach Meier (2023), S. 45.
Bei Harvard-Stil (Autor-Jahr im Text): (Schmidt 1995, zit. n. Meier 2023, S. 45)
Das Literaturverzeichnis enthält dann nur den vollständigen Eintrag zu Meier (2023), nicht zu Schmidt (1995).
Wann sind Sekundärzitate erlaubt?
Es gibt durchaus Situationen, in denen Sekundärzitate akzeptabel oder sogar notwendig sind:
1. Originalquelle nicht verfügbar
Die Primärquelle ist:
- vergriffen und nicht mehr erhältlich
- in einer Sprache verfasst, die du nicht beherrschst
- nur in weit entfernten Archiven oder Bibliotheken zugänglich
- aufgrund höherer Gewalt nicht zugänglich (z.B. während einer Pandemie)
2. Historische oder sehr alte Quellen
Bei sehr alten oder historischen Werken, die schwer zugänglich sind, ist ein Sekundärzitat oft akzeptabel. Beispiel: Ein Originaltext von Aristoteles aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.
3. Die Quelle ist von geringerer Bedeutung
Wenn eine Quelle nur am Rande für deine Argumentation relevant ist und nicht zu deinen zentralen Thesen gehört, kann ein Sekundärzitat manchmal vertretbar sein.
Wann solltest du auf Sekundärzitate verzichten?
In folgenden Situationen solltest du unbedingt zur Originalquelle greifen:
1. Zentrale Literatur für deine Arbeit
Wenn ein Werk zu den Schlüsselquellen deines Themas gehört und zentral für deine Argumentation ist, darf es nicht aus zweiter Hand zitiert werden.
2. Aktuelle und leicht zugängliche Quellen
Bei neuerer Fachliteratur, die in deiner Universitätsbibliothek, als E-Book oder über Fernleihe verfügbar ist, sind Sekundärzitate nicht akzeptabel.
3. Kritische Auseinandersetzung mit der Quelle
Wenn du dich intensiv mit einer Position auseinandersetzt, sie kritisierst oder als Grundlage für eigene Thesen verwendest, ist die direkte Prüfung der Originalquelle unerlässlich.
4. Bei Verdacht auf fehlerhafte Wiedergabe
Falls du Zweifel hast, ob die Sekundärquelle das Zitat korrekt oder im richtigen Kontext wiedergibt, musst du die Primärquelle konsultieren.
Praktische Tipps zum Umgang mit Sekundärzitaten
Zeitmanagement berücksichtigen
Um nicht in Verzug zu geraten, plane die Literaturbeschaffung frühzeitig:
- Identifiziere wichtige Primärquellen bereits in der Planungsphase
- Nutze Fernleihe und Dokumentenlieferdienste rechtzeitig
- Kalkuliere Wartezeiten für die Beschaffung schwer zugänglicher Literatur ein
Transparenz bei der Betreuungsperson
Sprich mit deinem Betreuer oder deiner Betreuerin über den Umgang mit schwer zugänglichen Quellen. Manchmal können sie:
- alternative Quellen empfehlen
- Zugang zu speziellen Datenbanken ermöglichen
- den Umfang der erforderlichen Primärquellen klarer definieren
Alternativen zum Sekundärzitat
Statt ein problematisches Sekundärzitat zu verwenden, kannst du auch:
- die Sekundärquelle selbst und ihre Interpretation der Primärquelle zitieren
- ähnliche Gedanken aus zugänglichen Primärquellen verwenden
- den betreffenden Aspekt aus deiner Arbeit ausklammern, wenn er nicht zentral ist
Umgang mit Sekundärzitaten in verschiedenen Fachkulturen
Die Akzeptanz von Sekundärzitaten variiert je nach Fachdisziplin:
Geisteswissenschaften
In den Geisteswissenschaften, besonders in der Philosophie und Geschichte, wird die Verwendung von Primärquellen besonders streng gehandhabt. Hier sind Sekundärzitate nur in Ausnahmefällen akzeptabel.
Sozialwissenschaften
In den Sozialwissenschaften besteht oft etwas mehr Flexibilität, besonders bei älteren oder schwer zugänglichen Quellen. Dennoch sollten zentrale Theorien aus Primärquellen zitiert werden.
Naturwissenschaften
In naturwissenschaftlichen Arbeiten ist die Verwendung von Sekundärzitaten teilweise gängiger, besonders wenn es um die Zusammenfassung eines Forschungsstands geht. Der Fokus liegt hier stärker auf aktuellen Studien und Ergebnissen.
Fazit: Sorgfalt und Transparenz entscheiden
Sekundärzitate sollten die Ausnahme, nicht die Regel sein. Ihre Verwendung ist in bestimmten Situationen vertretbar, erfordert aber immer absolute Transparenz in der Kennzeichnung.
Mit einer guten Planung deiner Literaturrecherche und -beschaffung kannst du den Bedarf an Sekundärzitaten minimieren und so die wissenschaftliche Qualität deiner Arbeit sichern. Denke daran: Jedes vermiedene Sekundärzitat stärkt die Seriosität und Fundierung deiner wissenschaftlichen Arbeit.